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St.-Wigberti-Kirche zu Riestedt

Die Riestedter Kirche: Die Kirche liegt wie der ganze Ort an der alten Handelsstraße von Erfurt nach Magdeburg, die schon in ältesten Zeiten Teil einer wichtigen Süd-Nord-Verbindung war. Das Gotteshaus ist dem heiligen Wigbert geweiht, einem Zeitgenossen und Mitarbeiter des Bonifatius, des Apostels der Deutschen. Beide stammen aus Südwest-England, und beide gehören in die große Schar der angelsächsischen Missionare, die im 7. und 8. Jahrhundert Verwandtschaft, Heimat und Besitz verließen, um "für Christus zu wandern", um den heidnischen Stammesgenossen auf dem Festland die gute Botschaft von der Liebe Gottes in Jesus Christus zu bringen. "Hier ist nichts anderes denn Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels“ - dieser Satz aus dem Alten Testament (1. Mose 28,17) stehtüber dem Haupteingang der altehrwürdigen St. Wigberti-Kirche zuRiestedt. Und es stimmt! Betritt man die Kirche, so umfängt einen einhohes Holztonnengewölbe mit bunter Barockbemalung von vorn bis hinten, ein Himmel mit Wolken, die auseinanderreißen und eine Fülle vonEngelsgestalten und Engelsgesichtern freigeben, mit vier Hauptbildern in der Mittelachse, die die entscheidenden Heilstatsachen (Moses mit denGeboten, das Opfer Christi, der Auferstandene mit der Siegesfahne, dieSonne über  dem Altar) darstellen und die uns zeigen, wie man in denHimmel kommen kann. Dazu erklärende Bibelworte auf bewegtenSchriftbändern. Mit dieser gemalten Evangeliums-Verkündigung an derDecke korrespondiert der Barock-Altar mit seinen lebendigen Figuren:Moses und Johannes der Täufer rahmen ein Reliefbild ein, das Jesus imGarten Gethsemane zeigt, wie er sich in den Willen Gottes hineinbetet.Sein Gehorsam gegenüber Gott, der Gehorsam, mit dem er sich für unsMenschen hingibt - das ist der Schaltpunkt, der "Schlüssel" zur Pforte des Himmels. Dies alles haben wir in einem Bauwerk, in dem Jahrhunderteihre Geschichte geschrieben und die Abfolge der Baustile ihre Zeichen hinterlassen haben. Da sehen wir zugemauerte romanische Fenster in den Bruchsteinwänden des Kirchenschiffes, romanisches Mauerwerk im Turmbereich. Besonders auffallend ist eine rundbogige Türöffnung, von der man nicht weiß, wo sie hinführt. Die Turm-Kapelle mit ihrem Kreuzgrat-Gewölbe und ihrem nach Osten ausgerichteten Triumphbogen weist Übergangselemente von der Romanik zur Gotik auf, während der Chorraum und der obere Turmbereich mit seinen Maßwerkfenstern spätgotische Stilelemente erkennen lassen. Der Innenraum der Kirche ist von der barocken Ausmalung und Ausstattung geprägt, aber enthält auch einen Taufstein und Tafelbilder aus der Renaissance und einen weiteren Taufstein in reinem Klassizismus. - Es ist ein ganz großer Reichtum, der sich uns in der Riestedter Kirche darbietet - ein Reichtum an Geschichte, Baugeschichte und Stilrichtungen und vor allem an biblischer Verkündigung, die unmittelbar die Herzen anspricht. Die jetzige Orgel von 1830 ist offensichtlich die vierte der St. Wigberti-Kirche. Die Erste, von der wir wissen, musste 1525 ausgebaut und an das Kloster Kaltenborn abgegeben werden, weil die Riestedter Einwohner die dortige Orgel in den Bauernaufständen zerstört hatten. Es dauerte Jahrzehnte - bis 1584 - ehe eine neue Orgel angeschafft werden konnte. Die tat bis zum Jahre 1704 ihren Dienst, mehr oder weniger gut. 1689 heißt es „Das Orgelwerk ist zwar alt, aber noch zu gebrauchen, doch bedarf es der Besserung.“ 1704 baute der Orgelbauer Karl Thiele aus Riestedt eine neue Orgel für den Preis von 278 Gulden und 10 Gr., und zwar wie auch die Vorgänger-Orgeln auf der Ostseite der Kirche hinter und über dem Altar. Im Jahre 1810 wurde festgestellt, dass das Orgelwerk beinahe völlig untauglich zu fernerem Gebrauch und in einem solch schlimmen Zustande sei, dass es nicht einmal einer Reparatur fähig und würdig geachtet werden kann. Es dauerte dann aber noch zwei Jahrzehnte, bis 1829/30 der Orgelbauer Wilhelm Maurer aus Rettgenstedt eine neue Orgel nunmehr auf einer neu eingebauten Empore auf der Westseite der Kirche aufstellen konnte. Es handelt sich um eine 2-manualige mechanische Schleifladen- Orgel, die heute leider in einem sehr reparaturbedürftigen Zustand ist, die jedoch nach einer Reparatur eine Attraktion für die Kirche sein könnte.  

Wigberti: Der Kirchenheilige der Riestedter Kirche, der heilige Wigbert (andere Namensformen: Wigbertus, Wipert, Wiepert, Wippertus, Wiprecht), gehört in die Lebenszeit und das Lebenswerk des Missionars und Bischofs Bonifatius hinein. Beide lebten im 7. und 8. Jahrhundert n. Chr., beide sind Angelsachsen und stammen aus Südwestengland. Die Stämme der Angeln und Sachsen waren um 449 n. Chr. von Norddeutschland aus nach England eingewandert und hatten zunächst 6 kleine, schon vorhandene christliche Gemeinden zerstört. Um 600 n. Chr. wurden die Angeln und Sachsen durch den Einfluss irischer Christen und durch Aktivitäten des Papstes Gregor d. Gr. für das Christentum gewonnen. Am Ende des 7. Jahrhunderts bestanden schon zahlreiche Klöster und Bischofs-sitze, z. B. in Canterbury, Worcester, Winchester, Adescancastre=Exeter, Nhutscelle=Nutshalling (zwischen Winchester und Southampton gelegen), und eine Welle von Missionaren und Missionarinnen drängte aufs Festland, um den verwandten Stammes-genossen die Frohe Botschaft von Gottes Liebe in Jesus Christus zu bringen.  Dieser   Mis-sionseifer wirkte sich bis weit ins 8. Jahrhundert aus. Das angelsächsische Christentum in England zeichnet sich durch eine ganz besondere Ausformung aus:

1) Es besteht eine sehr enge Bindung an den Papst in Rom, der als Nachfolger des Apostels Petrus angesehen wird.

2) Mit großem Ernst und Eifer werden Bibelstudium  und wissenschaftliche Forschung betrieben (Beschäftigung mit der Antike).

3) Es herrscht eine große Strenge in der Askese. Man meinte, man müsse Eltern, Verwandtschaft, Heimat und Besitz um Christi willen aufgeben und in die Ferne wandern, um anderen Menschen die gute Botschaft von Jesus Christus zu bringen (peregrinatio propter Christum).

4) Organisatorisch ist die enge Verbindung eines Bischofssitzes mit einem Kloster kennzeichnend.

Etliches davon kehrt in der Missionsarbeit auf dem Festland wieder. Stationen und Gebiete der angelsächsischen Mission im 7. und 8. Jahrhundert: Heimat: Süd- und Westengland (Wessex) mit Beziehungen zu Christen in Irland. Verkündigung des Evangeliums in Friesland, im Frankenreich, in Hessen und Thüringen, ins sächsische Gebiet hinein, in Bayern. Wallfahrten und Reisen nach Italien, durch das Gebiet des heutigen Österreich, nach Rom und bis nach Palästina und Jerusalem an die heiligen Stätten.

von A.M. Hoyer, ehemalige Pastorin in Riestedt